Minimalismus ist relativ

Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Espinal / 35,7 km

Die Muschel zeigt mir den Weg bis Santiago
Die Muschel zeigt mir den Weg bis Santiago

So nun geht’s endlich los mit der Anstrenung. Abends hatten wir ausgemacht, dass wir uns um 8 Uhr vor meiner Herberge treffen. Irgendwie war für Sascha und mich selbstverständlich, dass wir zusammen loslaufen würden. Warum? Keine Ahnung, irgend-eine von diesen „magischen“ Begegnungen des Caminos vielleicht?!


Aber bevor es los geht gibt’s erstmal Frühstück. Und da trennen sich auch gleich wieder die Deutschen vom Rest, äh die Spreu vom Weizen. Es gibt Tee und Kaffee und es gibt Tassen. Der Deutsche sieht wie sich alle Tee in die Tasse gießen und schließt daraus, dass sind Teetassen. Ja woraus soll er denn nun seinen Kaffee trinken? Ernsthaft verzweifelt weiß er nicht wohin mit seinem Getränk, denn Teetassen sind ja nunmal ausschließlich für Tee. Glücklicherweise weiß er das Problem dann doch zu lösen. Die Lösung heißt: Müslischale.  Das macht Sinn und ist doch auch viel stilechter. Der Belgier versucht ihm nochmal zu erklären, dass es doch Kaffee wäre was der Mann da trinken wolle und das er dafür doch auch die Tassen benutzen könnte und beobachtet ganz ungläubig den Deutschen. Aber der läßt sich nicht beirren und schon gar nicht belehren.

Sascha und ich auf unseren ersten Metern
Sascha und ich auf unseren ersten Metern

Jetzt geht’s aber in die Schuhe und ab auf den Weg. Buen camino und Tschüß Saint-Jean-Pied-de-Port. Rauf auf den Berg.. Oder doch nicht. Sascha hat eine tolle Information für mich:
Die Route Napoleon ist gesperrt. Na super, da verfolg ich das ewig und drei Tage und freu mich das die Route nach 'ner Ewigkeit endlich für dieses Jahr offen zu sein scheint und dann das. Ich wollte unbe-dingt die Pyrenäen über über die Route Napoleon überqueren, schließlich wurde mir eine schöne Bergetappe versprochen. Aber was soll's, es gibt ja noch 'nen zweiten Weg. So machen Sascha und ich uns frisch und fröhlich und etwas enttäuscht auf den alternativen Weg nach Valcarlos und es geht richtig gut voran. Wir haben uns was zu erzählen und das Tempo scheint erstaunlich gut zu passen. Mir ist es recht. Es geht etwas hoch und runter, häufig an der Straße entlang, aber die ist nicht stark befahren und so ist es gar nicht wirklich schlimm. Einige Stunden laufen wir gemütlich vor uns hin, irgendwann müsste es aber mal bergauf gehen. Insgesamt 850 Höhenmeter müssten es sein. Aber schlecht vorbereitet wissen wir natürlich nicht wirklich, wann die kommen.

Grenzübergang
Grenzübergang
Richtung Ibanetapass
Richtung Ibanetapass

Am Wegesrand
Am Wegesrand
Neuschnee - Der Grund für die Sperrung
Neuschnee - Der Grund für die Sperrung

Zwischendurch treffen wir wieder auf Malte und gehen erstmal zusammen weiter. Dann sind wir uns aber doch sicher die Steigung erreicht zu haben und mit den Höhenmetern tauchen auch plötzlich die anderen Pilger auf. Denn hier tummelt sich alles beim berghochquälen.

Ibanetapass
Ibanetapass

Auch ich komm ordentlich ins Schwitzen, überhole aber die meisten und setze mich von den Jungs ab und merke es geht echt ziemlich gut. Das Training hat sich gelohnt. Ein paar Verschnaufpausen sind nötig, aber dann bin ich doch schnell oben auf dem Pass und warte auf die Jungs bei Sonne, Regen, Hagel und Schnee. 40 Minuten später sind sie dann auch da und runter geht's die letzten 2 Kilometer wieder zusammen. Und schon sind wir in Roncesvalles. Recht früh und eigentlich noch viel zu fit. Wir holen uns erst mal 'nen Stempel und Sascha und ich entschließen uns, noch 7 km weiter zu gehen nach Espinal. Dort angekommen haben wir schon ein bischen Schiss, dass in der Herberge nix mehr frei sein könnte, aber das ist völlig unbegründet, wir sind tatsächlich die Ersten. Super denn dann müssen wir nicht warten um duschen zu können. 25 Minuten später sind wir frisch gestriegelt und starten das erste Wäsche waschen.

Sascha ist nur mit der besten Ausrüstung gestartet. Als ich sein Handtuch sehe kann ich nicht anders, ich muss lachen. Ich habe mir bei der Auswahl der Sachen die ich mit auf den Camino nehme so viel Mühe gegeben. Jedes einzelne Teil wurde mehrfach überdacht. Brauche ich das wirklich? Komme ich nicht mit der kleineren Variante aus? Gibt es das nicht auch in leichter? Stunden hab ich damit verbracht meinen Rucksack und den Inhalt gewichtsmäßig zu optimieren und auf ein Minimum zu bringen. Das Ergebnis ist ein Rucksack in dem nichts fehlt, der aber nur 6 Kilo wiegt. Und dann seh ich Saschas Handtuch...

 
Ich habe ein sehr gut eingelaufenes Paar Wanderschuhe dabei - Sascha ein Paar festere „Halbschuhe“.

 

Meine Hosen sind 370 Gramm leichte Funktionshosen – Saschas mittelschwere Hosen aus festem Stoff, immerhin keine Jeans.


Ich habe diverse Funktionsshirts bestellt gewogen und wieder zurückgeschickt. 120 Gramm und schnell trocknend waren die Voraussetzungen. – Sascha hat Baumwollhemden dabei.


Mein Fleecepulli wiegt weniger als 400 Gramm – Sascha hat seinen ältesten Baumwollpulli aus dem Schrank mitgenommen.


Mein Handtuch ist 50*90 cm groß und fült sich auf der Haut an wie ein Putzlappen aber es wiegt nur etwas über 100 Gramm – Saschas Handtuch toppt alles. Es ist ein Frotteehandtuch in Saunagröße und wiegt schätzungsweise das 6 fache.


Mutig.. Und auf andere Weise genauso minimalistisch wie meine Variante. Ich hab genau aufs Gewicht geguckt und nicht auf den Komfort oder den Preis. Sascha hat für seine Ausrüstung keinen Pfennig ausgegeben und begnügt sich mit dem was er besitzt oder sich leihen konnte. Und den ganzen Kram hat er erfolgreich über die erste Etappe gebracht. 850 Höhenmeter über 30 Kilometer ohne ernsthafte Wandererfahrung und mit viel zu viel Gepäck auf dem Rücken. Aber er ist fit, zufrieden und hat keine Blasen. Allerhöchsten Respekt!  

Nach getaener Arbeit vertilgen wir erst mal die Reste vom gestrigen Einkauf. Baguette, Salami, Käse, Cracker und eine Banane. Was will man mehr. Teller haben wir nicht, der Zutritt zur Küche ist verboten und der Hospitalero gerade nicht zu finden. Egal es geht auch ohne, schließlich soll das híer kein Luxusurlaub werden. Nach unserem feudalen Mahl geht es nochmal zurück nach Roncesvalles, um dort die Pilgermesse zu be-suchen. Zum Glück müssen wir die 7 Kilometer zurück zum Kloster nicht wieder laufen. Unser inzwischen wieder aufgetauchter Hospitalero fährt uns. Die Pilgermesse gehört zum Pflichtprogramm, denn dort wird den Pilgern der Segen für ihren Weg nach Santiago erteilt und den wollen wir schon haben.

Von der eigentlichen Messe verstehen wir nichts, denn sie wird natürlich in Spanisch abgehalten. Die Gesänge, das monotone Reden und der Geruch machen einen richtig entspannt und wir schlafen schon während der Messe fast ein. Zurück in der Alberge heißt es auch sofort "Silencio"!