Oh man, was für eine bescheidene Nacht. Da ich mir mit Camilla eins dieser Minidoppelbetten teilen musste und sie nach einigem Weinkomsum wirklich ihre Ruhe brauchte und ich vermutlich nicht ganz unbegründet die Angst hatte, sie würde eventuell ins Bett kotzen, wenn sie wach würde, versuchte ich sie so wenig wie möglich zu stören. Also rein ins Bett zudecken, nicht mehr bewegen und einfach schnell schlafen. Das funktionierte auch ganz gut bis es plötzlich kalt wurde. Ich habe unter meiner bettlakendünnen Decke nur noch gefroren, hatte aber leider keine Chance auf die dickere Decke, denn auf der lag mittlerweile Camilla und die wollte ich ja unter keinen Umständen wecken. Unterm Strich... Es war eine schreckliche Nacht, die auch noch viel zu früh zu Ende war. Ich bin schon um 8 Uhr wach, nur leider will sich keiner der Anderen an meinen Tagesrythmus anpassen. Alle schlafen tief und fest. Leider bin ich viel zu rücksichtsvoll und möchte niemanden wecken, stattdessen liege ich noch 3,5 Stunden im Bett rum bis endlich, um halb zwölf, Unruhe einkehrt. Eine halbe Stunde später geben wir den Zimmerschlüssel ab und stehen vor dem Hostal.
Camilla möchte heute nicht mit uns weitergehen. Sie muss noch etwas arbeiten und ganz offensichtlich ist sie völlig genervt von Maltes Anmachversuchen. Also gehen wir zu dritt zum ersten Tagesordnungspunkt über. Da wir in einem Hostal geschlafen haben, müssen wir für unsere Pilgerausweise noch einen Stempel auftreiben, um uns danach ein gutes Frühstück zu suchen. Wir halten in der Umgebung der Kathedrale Ausschau nach einer geeigneten Bar. Aber alles was wir finden genügt den Ansprüchen meiner Mitstreiter nicht so recht. Beide sind irgendwie angespannt und mit nichts wirklich zufrieden. Sascha setzt sich kurz von uns ab, um sich mal abseits der Kathedrale nach einem Frühstück umzusehen. Malte möchte plötzlich kein Frühstück mehr und zieht einfach so von dannen. Eeeeeendlich... Ich mag Malte an sich aber dieses besserwisserische Gehabe des 21-jährigen spätpubertierenden Pseudolüstlings hätte ich mir ohnehin nicht mehr länger geduldig anhören können.
Als Sascha zurückkommt und sieht das ich alleine auf ihn warte, hellt sich seine Miene plötzlich auf und er ist endlich wieder der alte Sascha. Gut gelaunt und entspannt. So läßt es sich gemütlich frühstücken. Ein Bocadillo und Cafe con leche in der Sonne direkt neben der Kathedrale.
Erst um 14:30 Uhr machen wir uns auf den Weg raus aus der Stadt, der lange nicht so schlimm ist wie der gestrige Weg in die Stadt. Eigentlich ist er sogar ganz schön. Was mir in Spanien immer wieder auffällt sind die menschenleeren großen Straßen, Auto-bahnen, Spielplätze und Neubausiedlungen. Als gäbe es hier gar keine Spanier, sondern nur den Pilgertourismus. Während wir mal wieder an so einer unbefaherenen Autobahn entlang laufen bekom-men wir einen ordentlichen Schauer ab. Aber da es wieder ganz schön warm ist, macht es uns nichts aus kurzfristig triefend nass zu sein. Wir werden immer wieder von zwei Reiterinnen überholt be-ziehungsweise überholen sie, wenn die Pferde mal wieder nicht so wollen wie sie sollen. Mit Pferd zu pilgern scheint also zumindest nicht schneller zu gehen als zu Fuß. Malte hat es sich auf einer Bank gemütlich gemacht und erzählt uns das er kurz vorher Camilla getroffen hat, die aber wohl heute keine Gesellschaft beim Laufen haben möchte. Scheinbar hat sie ihn ziemlich schroff sitzen lassen, denn er ist ganz schön beleidigt. Wir lassen ihn in Ruhe seine Pause machen und gehen weiter bis wir Camilla in einer Bar sitzen sehen. Da ein Cafe con leche ja bekanntlich nie schadet, setzen wir uns dazu. Unsere Sorge, dass sie vielleicht von uns allen genervt ist scheint unbegründet. Zu uns ist sie auf jeden Fall ganz nett. Nachdem alle Pilgerbedürfnisse erledigt (dazu gäbe es an sich mehr zu erzählen...) und die Cafes ausgetrunken sind, lassen wir Camilla einen kleinen Vorsprung. Gestern während des Fußballspiels lern-ten wir einen tschechischen Aussteiger kennen, der mit seiner Gitarre nach Santiago pilgert und wieder zurück und wieder nach Santiago und so weiter. Er hat nur das Geld was die anderen Pilger ihm für seine Musik geben und genau deshalb schläft er heute unter freiem Himmel. Das wenige Geld spart er, um sich bei schlechtem Wetter oder in den Städten eine Herberge leisten zu können.
Im nächsten Dorf entscheiden wir uns in der privaten Herberge zu bleiben. Dort haben sich natürlich auch, wie sollte es auch anders sein, Camilla, Oliver, Malte, Constantin und noch ein, zwei Deutsche einquartiert. Constantin kommt aus Lemgo, also aus meiner Nähe und war gestern beim Fußballspiel auch schon dabei.
Nach dem Duschen unterhalte ich mich mit unseren beiden Zimmergenossinen aus Amerika. Sie sind schon seit 2 Wochen in Europa, um den Jakobsweg zu gehen. Leider sind sie bisher keinen Meter weit gelaufen, denn sie mußten die beiden Wochen in Bayonne in Südfrankreich verbringen. Die Rucksäcke die für eine Pilgerreise nunmal unentbehrlich sind, sind leider zwischen Amerika und Frankreich verloren gegangen und brauchten zwei Wochen, um dann doch noch anzukommen.
Da es in dem heutigen Ort unserer Wahl keine Alternativen gibt, entscheiden wir uns für das Essen in der Herberge. Zum Glück kommen wir an einen Vierertisch abseits unserer Landsleute. Das hat zwei Vorteile. Der Erste, wir fallen nicht negativ auf. Es gibt wirklich genug zu essen für alle, aber der Tisch mit "unserer Gruppe" macht sich bei allen anderen direkt beliebt, indem sie schon wenige Minuten nachdem das Essen auf dem Tisch steht, an den anderen Tischen um die Reste betteln. Es könnte ja eventuell vielleicht doch etwas wenig sein, was man da auf seinem Teller liegen hat. Der Zweite, wir sitzen mit den französisch-irischen Reiterinnen, die wir schon auf dem Weg heute öfters gesehen haben, zusammen und unterhalten uns wirklich gut über Irland, England, Frankreich und das Pilgern mit Pferden. Wie wir schon vermutet haben, sind sie wirklich nicht schneller unterwegs als Fußpilger. Die Pferde machen eine Menge Arbeit, die Ställe müssen organisiert werden und die Pferde haben ihren eigenen Willen. Dadurch kommen die Beiden jeden Tag nicht viel weiter als 20 bis 30 Kilometer.
Während des Essens vergnügen sich meine Klamotten in der Waschmaschine. Die Hospitaleros bieten einen hervorragenden Service und ich hab wenig später meine getrockneten Klamotten zurück. Blöd nur das mein Fleecepulli und mein Funktionsshirt nicht in den Trockner gehören. Jetzt sind sie ein bis zwei Nummern kleiner. Naja, dann sehe ich ab morgen eben aus wie eine Presswurst.