Wir gönnen uns heute einen langsamen Start. Schon früh vom Rascheln und vor allem von der Sonne wach geworden aber irgendwie konnten wir uns Beide noch nicht so richtig aufraffen. Mann, tat mir heute Nacht die Hüfte weh.. Aber wenn man von 22 Uhr bis 7 Uhr im Bett liegt, kriegt man anscheinend trotzdem genug Schlaf auch wenn man vor Schmerzen glaubt nicht schlafen zu können. Fit bin ich auf jeden Fall. Bevor wir heute so richtig anfangen, genehmigen wir uns nach 250 Metern schon die erste Auszeit. Cafe con leche und Croissant. Was zu Hause nicht sein darf, denn ich verzichte ja weitestgehend auf Fett, muss hier sein, um irgendwie die Kalorien die verbrannt werden abzudecken.
Aber irgendwann muss es ja mal losgehen. Im Nieselregen gehts über die berühmte Brücke von Puenta la Reina um sich danach in schöner Landschaft recht schnell bergauf zu quälen. Sascha und ich laufen mal wieder zusammen los und unterhalten uns über deutsche Universitäten und deren übertriebener Bürokratie. Als es aber so richtig steil wird ist bald Schluss mit dem Reden. Trotz unserer späten Startzeit ist hier noch recht viel los. Oben angekommen landet man direkt neben der Autobahn, die auch noch ein paar Mal über bzw. unterquert werden will. Auch wenn die rasenden Autos sicherlich kein landschaftliches Highlight darstellen stört es mich eigentlich überhaupt nicht. Autobahnen gibt es nun mal auch in Spanien. Abends möchte ich in einem richtigen Haus schlafen und etwas Leckeres zu essen zu bekommen. Am besten noch für nen Spottpreis und dafür bedarf es nunmal einer ordentlichen Infrastruktur. Viele der Pilger scheinen das allerdings anders zu sehen. Erfreulicherweise ähneln die nordspanischen Autobahnen keineswegs den deutschen. Hier fahren vielleicht 1/10 so viele Autos.
Heute kann sich die Sonne noch nicht so richtig entschließen ob sie nun endgültig rauskommen soll oder sich hinter der Wolkendecke verstecken will. Vielleicht ist sie sich morgen endlich sicherer. Auf dem Weg sieht bzw. überholt man am Tag immer wieder dieselben Leute. Ein lustiges Pärchen waren zwei ältere Damen die sich sicherlich erst auf dem Camino kennengelernt haben. Die eine deutsch, die andere vermutlich osteuropäisch. Deren Kommuni-kation bestand eigentlich nur aus einem Wort: „ok“. Bei genauerer Analyse fällt mir auf das sie ihr „ok“ in unzähligen Varianten aussprechen können. Fragend, besorgt, bestimmend, genervt… Auf jeden Fall scheinen sie sich verständigen zu können und gehen sicher noch ein ganzes Stück zusammen.
Sascha und ich haben uns ganz gut eingespielt. Morgens unterhalten wir uns, irgendwann presche ich dann in meinem Tempo vor und warte immer mal wieder. Die Pausen sind für mich vielleicht nicht unbedingt nötig aber sicherlich ganz zuträglich. In Estella angekommen müssen wir uns nun entscheiden: kurze Etappe und da bleiben oder noch ein Stück weitergehen. Ich bin noch fit und entscheide mich fürs weitergehen und Sascha leider fürs da bleiben. Schade eigentlich. Aber wie oft hab ich vor meiner Reise gehört: „Du musst dein eigenes Tempo gehen!“ Nahezu jeder rät einem dazu sich weder von jemand anderem ausbremsen noch antreiben zu lassen. Es muss also etwas Wahres dran sein, also trennen sich heute unsere Wege. Aber vielleicht holt er mich morgen ja wieder ein.
Alleine geht es an der Weinkellerei von Irache vorbei. Hier gibt es einen Brunnen bei dem der eine Hahn Wasser spendet und der andere Wein. Leider ist der Weinbrunnen trocken. Schade. Beim Weinbrunnen gibt es eine Webcam, da möchte ich natürlich auch mal nach Hause winken. Also schnell zu Hause angerufen, damit meine Hampeleien vor der Kamera auch für die Daheimgebliebenen gesichert sind. Ich bin für Pilgerverhältnisse spät dran und die Gegend wirkt schon ziemlich ausgestorben und ich irgendwie ganz schön verloren. Nach einem kurzen Abstecher ins Kloster Irache möchte ich die letzten 6 Kilometer zügig hinter mich bringen. So ganz sicher, ob ich überhaupt noch nen Platz in einer Herberge bekommen würde, bin ich mir nicht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit bin ich die allerletzte, die sich auf den Weg nach Villamayor de Monjardin gemacht hat. Ein bischen mulmig wird einem da schon, wenn man unterwegs umknickt und man weiß, der Nächste kommt erst morgen früh vorbei, was dann? Zwischendurch "verfolgt" mich dann auch noch ein komischer Typ der sicherlich nichts Schlimmes im Sinn hatte, aber trotzdem fragt man sich: was ist wenn der mich jetzt überfallen will und hinter mir ist niemand anderes mehr, der mir noch helfen könnte? Also ein, zwei Spurts eingelegt, um den Typen einfach loszuwerden und sich solche Fragen gar nicht erst weiter stellen zu müssen. Die letzten Kilometer gehen dann doch noch gut an die Substanz. Es geht stetig bergauf und das auch nicht gerade zimperlich, außerdem hat sich die Sonne überlegt doch noch die Luft ganz schön aufheizen zu wollen. Völlig verschwitzt komm ich endlich an und wer sitzt da gemütlich mit hochgelegten Beinen und völlig entspannt vor der Herberge?! Die Koreaner! Sie scheinen nicht damit gerechnet zu haben mich nochmal zu sehen, denn sie begrüßen mich mit vor Verwunderung strotzdendem: „Sie hier?!“ Ja ich hier. Allerdings diverse Stunden nach den Beiden, aber ist ja auch kein Wettrennen. „Wo haben Sie Ihren Begleiter gelassen? Die Männer machen immer schlapp..“ Das hat sie gesagt, nicht ich ;-)
Das allerletzte Bett in der von mir erwählten Herberge ist meins. Puh, Glück gehabt. Eine sehr schöne Herberge, die die Zimmer anscheinend in Frauen- und Männerzimmer unterteilt. In meinem Zimmer sind auf jeden Fall ausschließlich Frauen untergebracht. Super, das verspricht eine ruhige Nacht zu werden. Normalerweise gibt es in der Herberge auch etwas zu essen, aber die Hospitalera sagte mir schon bei der Begrüßung, dass es im Moment weder Essen noch Frühstück gäbe. Es gibt Schlimmeres. Das Frühstück muss dann morgen eben auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden und für das Abendessen sorgt eine Bar um die Ecke mit einem völlig überforderten Besitzer: nur 14 Sitzplatze aber mindestens 40 Pilger, die alle was zu essen haben wollten. Ich hab als Spätankömmling, der sich auch nicht mal zum Essen angemeldet hat natürlich die Arschkarte gezogen und werde zum Warten verdonnert. Zum Glück, denn ich lande an einem Tisch mit zwei Amerikanern und zwei Italienern, mit denen ich mich prächtig verstehe. Wir machen uns einen wirklich lustigen Abend auf Kosten des Barbesitzers der in seiner eingebildeten Hektik einfach nichts auf die Reihe bekommt und zu meiner Freude ständig alles umschmeißt. Nach dem zumindest essbaren Essen bestellen wir noch einen Kaffee oder versuchen es zumindest, werden aber mit den Worten „Ist nicht im Preis inklusive“ abgespeist. Wir hätten aber trotzdem gerne einen und den würden wir sogar bezahlen. Pilger mit Sonderwünschen die sich zudem noch über den Chef lustig machen scheinen hier nicht gerne gesehen aber nach unseren Überredungskünsten in 4 verschiedenen Sprachen läßt sich der werte Barbesitzer doch noch erweichen und wir bekommen unseren Kaffee. Danach ist nach Pilgerstandard aber auch schon Bettruhe angeordnet. Fast 22 Uhr. Wir sind natürlich die letzten, die sich in die Betten schleichen.