Der Hospitalero sagte beim Abendessen, der ganze Spirit des Camino ginge verloren dadurch das alle nur noch hektisch darüber flitzen würden. Der Camino wäre zum Genießen da und die Landschaft könne man nicht genießen wenn man die ersten Stunden noch im Dunkeln marschieren würde. Das nahmen wir uns zu Herzen und stellten keinen Wecker. Nach dem Ausschlafen fangen wir ganz gemächlich an die Klamotten zusammen zu suchen und uns fertig zu machen. Es ist ohnehin schon sehr spät aber die Zeit für einen Kaffee und das spanisch-spartanische Frühstück lassen wir uns selbstverständlich nicht nehmen. Endlich mal eine Herberge aus der man nicht schon um 9 Uhr rausgeschmissen wird. Das muss man nutzen und so legen wir uns wieder auf die Matratzen und quatschen. Wir wollen heute nicht so richtig starten. Die Anfangseuphorie ist weg und wir sind mittlerweile ganz schön träge geworden. Aber wozu auch die Eile, pünktlich in Burgos sind wir auf alle Fälle. Gegen halb elf machen wir uns dann doch noch mal auf den Weg.
Nach 7 Kilometern haben wir schon genug vom Laufen und kaufen in einem Supermarkt erstmal alles Mögliche zu essen und picknicken. Gestern in der Herberge haben wir eine Südafrikanerin kennengelernt, die uns in ihre komplette Lebensgeschichte eingeweiht hat und uns sofort in ihre Familie aufgenommen hat. Wenn ich mal in Südafrika Urlaub machen wollen sollte, weiß ich an wen ich mich wenden kann. Eine sehr "übertrieben" emotionale Person, die in der einen Sekunde in schallendes Gelächter verfällt und in der nächsten Situation tief betrübt ist. Nun sehen wir sie wieder. Sie hat Blüten gesammelt und legt damit Muster auf den Weg. Sie freut sich so über sich selbst und ihr Kunstwerk, dass sie sich von allen Seiten mit ihrem Blütenteppich versucht zu fotografieren und die ganze Zeit laut vor sich hersingt. Etwas skurril, aber es sind genau diese Leute, die den Camino ganz besonders machen ;-)
Die nächsten Kilometer geht es durch die Montes de Oca, die Gänseberge. Gänse sehe ich zwar keine aber dafür freue ich mich über die Bäume und deren Schatten. Nach einem kurzen aber knackigen Aufstieg geht es halbwegs eben weiter durch das Waldstück. Hier treffen wir auf eine größere Gruppe Wande-rer mit leichtem Gepäck. Eine Busgruppe aus Deutschland. Innerhalb von 10 Tagen und für "nur" 1300 Euro klappern sie den Camino bis Santiago ab. Morgens werden sie irgendwo abgesetzt gucken sich dort etwas an, fahren dann ein Stück weiter mit dem Bus, um dann ein paar Kilometer auf dem Jakobsweg zu laufen. Nach 10 bis 15 Kilometern werden sie wieder eingesammelt und in ihr Hotel kutschiert. Die Frau die sich mit mir unterhält, freut sich Bekanntschaft mit einer "echten Pilgerin" zu machen und quetscht mich aus. Ziemlich schnell stellt sie fest, dass sie wohl doch nicht soviel Caminofeeling sammelt wie sie bisher geglaubt hat. Meine Reiseform wäre dieser Bus-Camino-Tourismus definitiv nicht, aber wem es gefällt..
Sascha und ich erreichen die nächste Herberge, gucken uns die dort stehende Kirche an und entscheiden nicht hier zu bleiben sondern weiterzugehen und auf die von der laut Pilgerführer "nicht immer optimal gepflegten" Herberge angeboteten Knoblauchsuppe zu verzichten. (Später hören wir von der Südafrikanerin das das eine wirklich weise Entscheidung war. Weder gab es die Knoblauchsuppe noch war die Herberge in irgendeiner Weise als gepflegt zu bezeichnen.) Wir nehmen uns vor noch zwei Orte weiterzugehen und dort in der privaten Herberge zu bleiben, werden davon aber im nächsten Ort abgehalten. Malte sitzt dort eine Cola trinkend vor einer Herberge und erzählt Camilla, Thomas, Vincent und Oli wären auch schon da. Nun bewahrheitet sich was im Pilgerführer steht. Man entscheidet nicht zwangsläufig darüber welche Herberge man nimmt sondern darüber ob einen die Gesellschaft dazu animiert zu bleiben oder weiter zu gehen.
Und da uns die Gesellschaft hier ganz gut gefällt entscheiden wir, es reicht für heute und beziehen im Meditationsraum zwei Matratzen im deutschen Lager (Camilla gehört als Dänin ja fast da-zu). Thomas und Vincent habe ich schon in Ventosa kennengelernt. Der 15-jährige Vincent ist mit seinem Vater zwei Wochen auf dem Camino unterwegs. Mit Oli aus Hessen haben wir uns hier und da schon während unserer Pausen unterhalten. Die Atmo-sphäre gleicht mehr denn je einer Klassenfahrt. Dumme Witze und Kissenschlachten. Einfach viel Spaß. Gerade mit Vincent hab ich viel zu lachen. Es entscheidet sich schnell das wir am nächsten Tag auf jeden Fall alle zusammen das Champions League Finale in Burgos sehen wollen. Das wird sicherlich lustig. Beim Essen lernen wir einen Haufen lustiger Spanier kennen, die uns endlich mal richtig wichtige spanische Dinge beibringen. Arriba, abajo, al centro y pa' dentro! Von diesem neuen Wissen machen wir zusammen mit den Spaniern Gebrauch bis der letzte Tropfen die Weinflaschen verlassen hat ;-)